Zerwürfnis in der Nato / Politik des leeren Stuhls
[by Nicolas Busse]
Schneller als selbst Pessimisten befürchtet haben, führt der Krieg in Georgien zu einem ernsten Zerwürfnis in der Nato. Seit Beginn dieser Woche haben mehrere Sitzungen im Brüsseler Hauptquartier des Bündnisses stattgefunden, die tiefe Meinungsunterschiede zwischen den 26 Verbündeten zu Tage gefördert haben - über den Umgang mit Russland und über die Frage, ob die Nato sich auf die Seite Georgiens stellen soll.
Dabei bilden sich wieder die zwei Lager aus der Irakkrise heraus: Amerikaner mit Briten und Osteuropäern auf der einen Seite gegen Westeuropa unter der Führung von Deutschland und Frankreich auf der anderen Seite. ,,Dieser Graben wird immer tiefer", sagt ein Diplomat.
Unmittelbarer Anlass sind die Sitzungen des Bündnisses mit Russland. Schon am Dienstag hatten die Amerikaner dazu beigetragen, eine Zusammenkunft des Nato-Russland-Rates zu verhindern, indem sie einem Vorbereitungstreffen demonstrativ fernblieben. Die Russen selbst machten die Sache allerdings nicht einfacher, indem sie verlangten, den Rat vor einer Zusammenkunft der Nato-Botschafter mit dem georgischen Botschafter abzuhalten, was nach Auffassung der meisten Verbündeten terminlich nicht möglich war.
Manchen Diplomaten schwante da schon, dass die ,,Politik des leeren Stuhls" nur ein Vorbote eines neuen harten Kurses Amerikas gegen Russland sein würde. Tatsächlich traten die Amerikaner von Mittwoch an in der regulären Sitzung des Nato-Rates und anderen Gremien ,,sehr aggressiv" auf, wie aus dem Bündnis zu hören ist.
Sie verlangten, dass eine russische Fregatte nicht wie geplant an der Operation ,,Active Endeavour" teilnehmen darf, einem Antiterroreinsatz des Bündnisses im Mittelmeer. Das Schiff liegt schon in einem türkischen Hafen, sein Einsatz wurde vom Nato-Rat bereits gebilligt. Außerdem beantragten die Amerikaner eine Sondersitzung der Nato-Außenminister am nächsten Dienstag in Brüssel, blockierten aber sämtliche Versuche, zu diesem Termin auch einen Nato-Russland-Rat abzuhalten.
Einen regulär geplanten Rat, der für Oktober bei einem Treffen der Verteidigungsminister in Budapest vorgesehen war, möchte Washington abgesagt sehen. Unterstützung erhält die amerikanische Regierung dabei von vielen osteuropäischen Staaten. Die schlugen zum Beispiel vor, im Oktober in Budapest ein Treffen der Nato-Ukraine-Kommission abzuhalten, obwohl einige Wochen später ohnehin ein solches Treffen vorgesehen ist. Das wäre ein feiner diplomatischer Nadelstich gegen die ausgeladenen Russen, denn die Nato hat der Ukraine zusammen mit Georgien im April versprochen, eines Tages aufgenommen zu werden.
Und außerdem verlangen viele Osteuropäer eine robuste Antwort auf eine acht Punkte umfassende Bitte um Hilfeleistung, die der georgische Botschafter am Dienstag dem Nato-Rat übergab. Sie wollen, dass die Nato ihre Schnelle Eingreiftruppe NRF nach Georgien schickt, Awacs-Aufklärer sowie eine hohe Delegation ihres Internationalen Stabes.
Anführer des osteuropäischen Lagers sind momentan die Tschechen, die sich als ,,besondere Scharfmacher" hervortun, wie aus dem Bündnis zu hören ist. Zu der Gruppe gehören die drei baltischen Staaten, unter denen besonders Lettland hervortritt, sowie Polen. Ungarn und Slowenien sind dagegen zurückhaltend, sie sprachen im Nato-Rat bei der Bewertung des Krieges sogar ausdrücklich von ,,georgischer Aggression".
Bulgaren, Rumänen und auch Türken scheinen den Krieg dagegen eher als regionales Sicherheitsproblem aufzufassen, sie redeten vor allem von einer Bedrohung der Schwarzmeerregion.
Unter den westlichen Verbündeten sind Großbritannien und Kanada am stärksten auf der amerikanischen Linie. Dem westeuropäischen Lager unter deutsch-französischer Führung werden Italien, Spanien, Belgien, Luxemburg, Portugal und Norwegen zugerechnet. Die Dänen seien zurückhaltend, hätten aber auch von ,,russischer Aggression" gesprochen und die amerikanische Formulierung von der ,,unverhältnismäßigen Anwendung von Gewalt" übernommen.
Den Westeuropäern, vor allem den Deutschen, geht es dem Vernehmen nach um zwei Dinge. Sie wollen die institutionellen Verbindungen zu Russland nicht kappen, um weiter einen Dialog zwischen der Nato und dem Land führen zu können. Und außerdem sind sie der Meinung, dass die Nato hier ohnehin nichts zur Konfliktlösung beitragen kann, weil im Augenblick vor allem die EU und die OSZE im Einsatz seien. Es wird sogar in Frage gestellt, dass die Nato überhaupt auf das georgische Ersuchen reagieren muss, da es sich ja um ein sogenanntes ,,non paper" handelt, also keine formale Anfrage.
Das amerikanische Vorgehen erklärt man sich zum Teil mit Verärgerung darüber, dass Amerika zunächst an der Konfliktlösung nicht direkt beteiligt war, sondern die EU unter französischer Führung einen Waffenstillstand aushandelte. Einige sehen in Außenministerin Rice eine treibende Kraft, weil das Weiße Haus ursprünglich in der Frage einer schnellen Heranführung Georgiens an die Nato lange gezögert habe.
Nach Meinung von erfahrenen Diplomaten in Brüssel bricht hier ein Grundsatzkonflikt über das Wesen der Nato auf, der seit Jahren unter der Oberfläche schwelt. ,,Wenn Sie die neuen Mitgliedstaaten fragen, warum sie in der Nato sind, dann sagen die: wegen Artikel 5", berichtet ein Kenner der Allianz. Dieser Artikel enthält die Beistandspflicht der Verbündeten und wird von vielen Osteuropäern als Überlebensgarantie gegen Russland betrachtet. Frage man hingegen die alten Verbündeten in Westeuropa, dann redeten die von Auslandseinsätzen und Friedensmissionen. ,,Artikel 5 kommt da praktisch gar nicht vor."
Die Osteuropäer dagegen seien besorgt, weil die Nato auf Stabsebene keine Übungen mehr zur Abwehr eines russischen Angriffs abhält. Die Russlandpolitik der Nato war in den vergangenen Jahren nach Einschätzung von Diplomaten stärker von der osteuropäisch-amerikanischen als der westeuropäischen Sicht geprägt. Die Aufnahme neuer Länder aus dem postsowjetischen Raum wurde als Ausdehnung des westlichen Schutzmantels auf junge Demokratien verstanden, die von Russland gegängelt oder bedroht werden. Ein Diplomat sieht es sogar noch pointierter: ,,Das Motto war doch: Was Russland ärgert, nützt der Nato."
In Westeuropa waren viele anderer Meinung. Gerade unter dem außenpolitischen Personal in Deutschland ist die Ansicht verbreitet, dass Länder wie die Ukraine und Georgien nur ganz langsam an die Nato herangeführt werden sollten, um nicht unnötig russische Einkreisungsängste zu wecken. Die Erweiterung sei auch eine Frage des richtigen Zeitpunktes, lautete eine Schlussfolgerung daraus.
Diese Gegensätze führten auf dem jüngsten Nato-Gipfel im April zu einem einmaligen Kompromiss in der Geschichte der Nato: Der Ukraine und Georgien wurde im Grundsatz die Aufnahme versprochen, ins Beitrittsvorbereitungsprogramm (Membership Action Plan, MAP) des Bündnisses wurden die beiden Länder aber noch nicht aufgenommen. Amerikaner und Osteuropäer sehen darin eine Zweideutigkeit, die schon vor dem Krieg einen Anreiz für Russland darstellte, gegen Georgien vorzugehen.
In der Nato ist aufgefallen, wie schnell die Russen nach dem georgischen Vormarsch ihre Truppen verlegten. Immerhin waren es etwa 10.000 Soldaten nach Abchasien und zwischen 10.000 und 20.000 Soldaten nach Südossetien. Das wirkte so, als habe Moskau nur auf eine Gelegenheit gewartet, um den Georgiern eine Lektion zu erteilen. Das Ergebnis war in jedem Fall gewaltig. Wichtige militärische Infrastruktur in Georgien ist zerstört, darunter auch eine Luftradareinrichtung, die eigentlich zum Datenaustausch mit der Nato genutzt werden sollte. Die vier Brigaden, mit denen Georgien nach Südossetien vorrückte, sind offenbar weitgehend zerschlagen und geflüchtet. Die Landesverteidigung besteht nur noch aus einer Brigade, die - mit amerikanischer Hilfe - aus dem Irak zurückgeholt wurde und nun Tiflis schützt.
Russland selbst will allerdings auch seine Beziehungen zur Nato überdenken. ,,Unser Verhältnis mit der Allianz kann sich nur ändern", sagte jetzt der russische Botschafter bei der Nato, Dimitrij Rogosin, einem Fernsehsender seines Landes. Er beschwerte sich darüber, dass Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer am Dienstag in einer offiziellen Stellungnahme kein Wort über die Opfer der georgischen Angriffe verloren habe. In der Nato hat das niemanden überrascht. Der Niederländer De Hoop Scheffer gilt als im Bündnis als Gewährsmann Washingtons.
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Dispute in the NATO / policy of the empty chair
[by Nicolas Busse]
Faster than even the pessimists feared, the war in Georgia has led to an dispute in the NATO. Since the beginning of the weak several meetings in the Brussels headquarter took place, showing deep disagreements among the allies - about the treatment of Russia and about the question, if NATO should be on the side of Georgia.
In those meetings again the two camps from the Iraq crisis emerged: Americans with the Brits and the eastern Europeans on the one side, against western continental Europe under the leadership of Germany and France on the other side. 'This rift becomes deeper and deeper' says a diplomat.
Accute cause for the dispute are the meetings with Russia. On Tuesday the Americans contributed to prevent a meeting of the NATO-Russia-council, by refusing to join a preparation meeting. The Russians however didn't make it easier by demanding to hold the council meeting before the NATO ambassadors had a meeting with the Georgian ambassador, which was according to the most difficult to organise in time.
Some diplomats guessed already, that a 'policy of the empty chair' would be only a herald of a new tougher course of the US against Russia. Indeed Americans behaved 'very agressive' in the regular meeting of the NATO council and other subgroups, as some tell.
They demanded, that the Russian fregat(?) not takes part on an operation ,,Active Endeavour", an anti-terror operation in the Adria. The ship already is already at a Turkish port, its participation was already allowed. More over Americans want an extra session next Tuesday, blocking any attempt to have a NATO-Russia council meeting at the same time.
A regular council meeting planned for the defense secretary meeting in Budapest, Washington wants to abolish. Support the US gets from many eastern European states. They suggested e.g. to hold a meeting with the NATO-Ukraine-commision in Oktober in Budapest, despite such a meeting was planned anyhow some weeks later. This would be a subtle diplomatic pinprick against the disinvited Russians, because NATO has promised Ukraine together with Georgia, that the can join NATO one day.
More over many eastern Europeans demanded a robust answer to 8 point bid for help, which the Georgian ambassador on Tuesday gave the NATO council. They want, that NATO sends its fast intervention troop (NRF) to Georgia, Awacs, as well as a high delegation of its international headgroup.
Leader of the Eastern Europeans camp are currently the Tzechs, who act as 'special stirrers', as is told. In this group are the 3 baltic states, especially Latvia, and Poland. Hungary and Slowenia are more reluctant, they even spoke in the NATO council explicit of 'Georgian agression'.
Bulgaria, Romania and Turkey seem to see the war as a regional security issue, they talked mostly about a threat of the Black sea region.
Among the western allies UK and Canada are the most on the American line. In the western European camp under German-French leadership are seen Italia, Spain, Belgium, Luxembourg, Portugal and Norway. The Danes are more reluctant, but have spoken of 'Russian agression' and took the US phrase of 'unproportionate use of violence'.
The western Europeans, especially the Germans want 2 things. They [we, as this is a German newspaper and the translation is done by a German] don't want to cut the institutional frame of relationship with Russia for being able to continue a dialog with Russia and the NATO. And they think that the NATO can't do anything for the solution of the problem, because currently mostly the EU and the OSCE are active. Even the question is asked if NATO has to react at all on the Georgian bid, as the bid is a so called "non paper", no official request.
The US behaviour at least partially some explain by the anger, that the US was initially ignored in the conflict solution efforts, as the EU under French leadership negotiated a cease fire. Some assume state sec Rice as pushing force, because the WH originally hesitated to draw Georgia into NATO.
Experienced diplomat in Brussels opine that a fundamental conflict about the essence of NATO comes to light, present since a longer time. "If you ask a new member state, why they are in NATO, they say: cause article 5", says an expert. This article contains the assistance duty of the allies and is seen by many eastern Europeans as a survival guarantee against Russia. If one asks old allies in western Europe, then they talk about interventions in foreign countries and nation building. Article isn't mentioned.
The eastern Europeans are afraid, because NATO doesn't hold exercises at the top level for defending against a Russian attack. The Russia policy of NATO was in the recent years stronger formed by the Eastern European/US view than by the Western European view. The acceptance of new members of the post Soviet area was understood as increasing the protection sphere of the West to young democracies, annoyed or threatened by Russia. A diplomat even says: "The motto was: What annoys Russia is good for NATO."
In W Europe, many had different opinions. Especially among the foreign policy personal of Germany the view is common, that countries like Ukraine and Georgia only very slowly should be allowed to near NATO, for preventing unecessary Russian fear of being surrounded. The expansion would be as well a question of the right date, is one conclusion.
These antithesis led to a unique compromise at the most recent NATO meeting in April: Ukraine and Georgia was in principle promised membership, but they were not allowed for the membership preparation program. Americans and Eastern Europeans see this as a ambiguity, which was stimulation for Russia to agitate against Georgia even before the war.
NATO noticed how fast Russia was able to redeployed 10000 soldiers to Abkhazia and 10 - 20 000 into South Ossetia. That seems as if Russia was only waiting for an opportunity to lecture Georgia. The result was huge in any case. Important military infrastructure destroyed, among that a Radar station, which was foreseen for data exchange with NATO. The 4 brigades, with which Georgia went to South Ossetia, are mostly destroyed or on the flight. Georgia's defense is now only one brigade, which - with US support - brought back from Iraq is now protecticg Tblisi.
Russia OTOH wants to rethink its relationship with NATO. "Our relationship with the alliance can only change.", said a Russian ambassador at NATO, Dimitrij Rogosin, to a Russian TV station. He complained, that
Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer said no word about victims of the Georgian attacks in a statement on Tuesday. In NATO nobody was surprised. The Dutchman De Hoop Scheffer counts as warrantor of Wahington
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